Er ist fertig! Der Feuer-Derwisch-Rock!
Nach zwei misslungenen Versuchen habe ich nun endlich eine Variante genäht, die funktioniert.
Jetzt müssen wir nur noch üben: denn das Drehen mit dem Feuer ist gar nicht so einfach…
Wir arbeiten an zwei Varianten – klassisches Whirling auf dem Boden und Wirbeln in der Luft.
Feuer-Whirling auf dem Boden war meine ursprüngliche Idee: Einen Rock nähen, der sich beim Drehen zum Teller öffnet – dessen Saum brennt und einen fliegenden Feuerkreis um die drehende Tänzerin bildet.
Doch das klingt wesentlich einfacher, als es ist. Abgesehen von technischen Problemen – wie nähe ich den Saum, damit der Rock nicht in Flammen aufgeht – ist die große Herausforderung das Dreh-Tempo.
Nomalerweise kann ich beim Whirling mich langsam an eine höhere Drehgeschwindigkeit herantasten. Mein Körper und meine Sinne gewöhnen sich nach und nach an die Drehungen und ich kann schneller und schneller werden.
Doch mit dem brennenden Rock muss ich mich von anfang an sehr schnell drehen, damit der Rock in die Waagrechte steigen kann. Denn nur so bildet sich ein Feuerkreis, der sicher brennt.
Das trainiere ich jetzt – den schnellen Start ins Drehen.
Um nicht so sehr ins Taumeln zu geraten, haben wir bei unserem Versuch einen Luftring aufgehängt, an dem ich mich festhalten konnte, um nicht umzufallen. Da war es nur noch naheliegend, dass ich auch mal in die Höhe fliege! Und das ist wirklich großartig! Auf dem Boden anfangen sich zu drehen, um dann wirbelnd in die Luft zu fliegen, wieder zu sinken, noch mehr Drehtempo aufzunehmen und wieder zu steigen…
Das ist so schick und einfach pur, dass wir es bereits in unsere aktuelle Illuminair-Version eingebaut haben – die wir in zwei Wochen in Griesheim spielen.
Überhaupt ist Whirling seit einiger Zeit ein wichtiges Thema für mosaique. Jennie erforscht Whirling (also zeitgenössisches Derwisch-Drehen) seit einiger Zeit, zusammen mit Gisbert Schürig (in ihrer Musik- und Movement-Company Phyla). Sie ist aktiv an Naima Ferre’s Whirling Ateliers beteiligt, sowohl organisatorisch als auch musikalisch. Ihr Interesse kam vom Tanz, durch ihre Arbeit mit Minimal Improvisation: minimalste Bewegungs- (und Klang-) Elemente zu untersuchen, Bewegung in kleinste Einzelteile zu zerlegen und Ausdruck und Energie in der Minimalität zu finden. Sich einfach um die eigene Achse zu drehen, und das minuten- und sogar stundenlang, ist so minimal, dass sich darin die Wahrnehmung für kleinste Details entfalten kann. Die Minimalität der Bewegung eröffnet somit große energetische Räume für Kreation und Improvisation und auch für ein Insichgehen.
Ich kenne Whirling vor allem aus meiner luftartistischen Arbeit: Wirbeln am Tuch und Trapez, und vor allem gewirbelt Werden am Seil und am Luftring.
Das ist ganz anders, als das Whirling auf dem Boden: Auf dem Boden dreht man sich aktiv, man setzt Fuß vor Fuß und tanzt im Kreis. Selbst wenn man das Gefühl bekommt, sich der Drehung voll und ganz hinzugeben, ist man immer noch aktiv am Tanzen – zumindest die Füße sind es.
In der Luft wird man entweder gewirbelt – von einer anderen Person, die auf dem Boden steht – und ist somit passiv der Drehung ausgeliefert. Aber die Angst zu fallen verschwindet in der Luft: ich hänge im Seil oder Ring, kopfüber, seitlich oder aufrecht, und werde gedreht. Getragen werde ich vom Seil, und Stolpern ist kein Thema.
Oder man wirbelt sich selbst in der Luft – ich benutze z.B. das Vertikaltuch mit dem Luftwiderstand, um meinen Körper in Drehung zu bringen. Zudem mache ich mir die Zentripetalkraft zu nutze, und kann mich schneller oder langsamer drehen, je nachdem, wie groß ich mich mache. Das einzige, was in der Luft nicht geht, ist ein abrupter Stop.
Gisbert Schürig von Phyla hat Anfang Mai zu einem Diskurs-Kreis über Whirling eingeladen. Dazu hatte er außer uns und Naima Ferre noch weitere Whirler eingeladen, nicht nur aus der Tanzszene, sondern auch aus dem Sufismus und anderen religiösen Praktiken. Ihm ging es darum zu erfahren, ob sich das zeitgenössische Whirling auf den Sufismus beziehen muss – ob man sich mit dem Drehen ungewollt in eine Genealogie begibt, die man vielleicht gar nicht teilen möchte.
Die Antwort blieb naturgemäß aus – bzw. ein Konsens war nicht zu erreichen. Doch wir führten ein sehr spannendes Gespräch vor unseren unterschiedlichen Hintergründen und tauschten unsere Erfahrungen und Praktiken aus.
Was mich in diesem Kontext besonders interessiert, ist ob man die durch die Minimalität und Monotonie der Bewegung geschärfte Wahrnehmung emanzipatorisch nutzen kann. Wenn man im Drehen und Wirbeln Zeit und Raum anders wahrnimmt, kann man das nicht übertragen auf unsere gesellschaftlich geprägten Wahrnehmungen? Kann das Drehen uns dabei helfen, fest gesetzte Kategorien zu verschieben? Wenn religiöse Menschen im Whirling zum Göttlichen finden können, kann ich das nicht auch als weltliches Ritual für gesellschaftliche Veränderung nutzen? Wirbeln für eine bessere Welt?
Wie lange müsste man sich dafür drehen?
Mit dem Feuer ist das eher eine kurze Performance. Mein Kevlar-Saum brennt ca. drei Minuten. Doch drei Minuten schnellstes Wirbeln ohne zu Taumeln ist gar nicht so einfach. Und in der Luft bedeutet das, dass ich drei Minuten an den Händen hängen muss – auch das kann grenzwertig sein. Aber es ist sehr viel wert, dass wir das trainieren! Drei Minuten steht dieses eine Bild – ohne Schnörkel, ohne Deko, ohne Kitsch – nur ein sich drehender Körper, der von einem organisch fließenden Feuerkreis umgeben ist. Ein unglaublich starkes Bild, das zum Träumen, Nachdenken, zu Faszination und Stille einlädt – bevor die Feuershow rasant in die nächste Szene übergeht. Wir freuen uns, mit unserer Feuershow, Brandenburg, Berlin und andere Orte verzaubern zu dürfen!